Pilotprojekt


Seminar 4+5: "Soziale Systeme und ihre Dynamik verstehen und mitgestalten"

3. - 4. Oktober / 31. Oktober - 1. November 2003

Ich sitze in diesem Raum und spüre das wunderschöne Gefühl von Geborgenheit. Ich frage mich warum und schaue nach links und dann nach rechts - und auf einmal weiß ich warum. Ich sitze zwischen zwei mir sehr ans Herz gewachsene Menschen: Gabriele und Michaela. 

Gabriele, die für mich die Schönheit dieser Welt verkörpert und mich daran teilhaben lässt. Allein, wenn sie den "Tanz der Elemente" anleitet und im Zuge dessen gleichsam durch den Raum schwebt, fühle auch ich mich schön - schön von innen heraus. 
Michaela, die mich durch jede ihrer Bewegungen aufgrund ihrer Zartheit berührt und doch Stärke ausstrahlt. Diese Kraft, die sie immer wieder bestärkt, auf ihrem von Selbstzweifel geprägten Weg zu bleiben, macht sie zu einer Verbündeten von mir.

Diese zwei Menschen sowie das ganze Orientierungssemester mit seinen "Studierenden" und "Lehrenden" sind ein ganz besonderes Geschenk für mich. Geschenke, die jeder von uns gibt, ohne dass sie viel kosten - außer vielleicht die Überwindung sich zu öffnen, ehrlich zu sein und zu sich selbst zu stehen. 

Wenn ich Geschenke in der Praxis ernten will, so habe ich in diesem Seminar einen Weg erfahren, wie ich eine ganze Scheune voll davon bekommen kann. Und eigentlich ist es ja auch ganz einfach: mittels Feedback. Ja, einfach scheint es - ist es aber nur, wenn man auch weiß, wie man mit Feedback "richtig" umgeht. Wenn man das Spiel von Geben und Nehmen unter der Anleitung des Hauptakteurs "Wertschätzung" beherrscht.

Jetzt weiß ich auch, warum ich früher immer am liebsten die Flucht ergreifen wollte, wenn es in diversen Situationen zur klassischen Feedbackrunde kam. Obwohl sich die Schuldfrage nicht wirklich stellt, war es, verdammt noch mal nicht wirklich mein Fehler, dass ich, nachdem ich mein Feedback oft genug schlampig verpackt "geschenkt" bekommen hatte, mich wie ein verstoßenes und ungeliebtes Kind fühlte. 
Die Option "fuck" (Ablehn-Option) kannte ich damals noch nicht, und musste in unserem Kreis noch nie darauf zurückgreifen. Was aber das Leben "draußen" betrifft, empfinde ich diese Option als sehr hilfreich und nehme sie in die nächste Feedbackrunde mit. Danke, liebe Linne!

Aber außer der Verwendungsart und dem Verwendungszweck von "schmutzigen" Wörtern habe ich noch so einiges anderes gelernt in diesem Seminar. Zum Beispiel wie Erwachsene Blinde Kuh spielen und zugleich Wesentliches über die Funktionsweise von sozialen Systemen am eigenen Leib erfahren. 

Als Thomas Böhm ankündigte, dass wir jetzt ein Spiel spielen werden, dachte ich sofort wieder über mögliche Fluchtwege nach - aber, bitteschön, ohne dass es peinlich lichlichlichlichlichlichlichlichsekunde hatte ich aber alle meine Sinne wieder beieinander und beschloss mitzuspielen. Und zack-bumm hatte ich schon die Augen verbunden und noch einen Augenblick später, nachdem ich mal kurz zwischendrin in die Knie gegangen bin, weil für mein Dafürhalten im Gruppenspiel nix weitergegangen war, durfte ich auch schon das Wort "MORE" mit verkordelten Seilen schreiben (letzter Abschnitt innerhalb dieser Gruppenarbeit).

Als mir aber nach dem Spiel bewusst wurde, dass wir uns jetzt gleich auf Video sehen würden, schossen mir zwei Gedanken durch den Kopf: "Aus dem Fenster zu springen zahlt sich auf halber Strecke nicht mehr wirklich aus." Und: "Hoffentlich hat Gerda meinen Kniefall nicht gefilmt, denn dann habe ich vielleicht Erklärungsbedarf!" 

Natürlich war ich in Großaufnahme in genau dieser Situation zu sehen, aber alles war halb so wild, da dieses Spiel und das Verhalten der einzelnen Mitspieler ja unter "unsere Erkenntnisse über soziale Systeme" gefallen ist. Meine Erkenntnis kam, als ich mich auf Video spielen sah. Irgendwie war ich doch sehr "stolz" auf mich, denn: "Wahnsinn, da haben mir 5 Menschen im wahrsten Sinne des Wortes BLIND vertraut!" Schlussfolgerung: Ich habe meine Sache gut gemacht!

Ebenfalls gelernt habe ich, dass Zu-spät-Kommen nicht immer nur als "unhöflich und undiszipliniert" gilt, sondern manchmal auch durchaus Sinn macht. Die Aufgabe, dass wir bis zum nächsten Morgen über Konflikte in unserem sozialen System nachdenken und diese dann womöglich auch noch in der Gruppe ansprechen, habe ich im wahrsten Sinne des Wortes verschlafen. Unbewusst-bewusst habe ich mich erfolgreich vor dieser Auseinandersetzung gedrückt; nachdem ich mich meines Erachtens nach bei unserem letzten Seminar schon zu weit in konfliktträchtige Gefilde gewagt hatte.

Wo da der Sinn steckt? Diese Frage kann ich auch nicht so leicht beantworten. Ich weiß nur, dass ich gespürt habe, dass meine Abwesenheit in diesen Stunden gut war - es hat halt einfach gepasst! Nach meiner Ankunft im Seminarraum wurde ich wieder in die Gruppe hineingeholt und ab dem Zeitpunkt habe ich sowohl die gemeinsame Kraft dieser Gruppe wie auch die Kraft, die von jedem einzelnen ausgeht, gespürt. Irgendwie hat mich diese Situation an die drei Musketiere erinnert: "Einer für alle, alle für einen!"

Wenn ich heute, 2 Wochen danach, auf dieses Seminar zurückschaue, dann spüre ich, dass ich einen Quantensprung in meiner Entwicklung vollzogen habe. Ich merke, wie ich jeden Tag selbstsicherer werde, sowie immer mehr um meinen Wert als Mensch namens Theresa Bescheid weiß und diesen auch einfordere. Dafür möchte ich mich bei den Personen bedanken, die mich auf diesem Weg begleiten, mich unterstützen und mir den Raum gewähren, den ich zu meiner Entfaltung und Entwicklung brauche. DANKE!

Theresa Tschanett

 

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